Über einen Monat ist es her, dass einer vierstellige Anzahl an SC-Fans von der Stuttgarter Polizei der Weg zum Gästeblock-Eingang versperrt wurde. Für die im engen Korridor wartenden Fans ging es fast eine Stunde lang weder vor noch zurück. Informationen der Polizei fehlten völlig. Einige Fans bekamen Kreislaufprobleme. Viele haben sich im Nachgang schriftlich bei der Polizei über die verantwortungslose und gefährliche Aktion beschwert. Eine Antwort auf eine solche Beschwerde liegt uns vor. Die Erklärungsversuche zeigen einmal mehr, dass die Stuttgarter Polizei den Einsatz offensichtlich nach wie vor nicht ernsthaft aufgearbeitet hat.

Der Brief vom Führungs- und Einsatzstab des Polizeipräsidiums Stuttgart, unterschrieben von dem Polizisten, der bei Heimspielen des VfB Stuttgart laut unseren Informationen die Einsatzstrategie festlegt, beginnt mit einer klassischen Verharmlosung:

„Ich bedauere, dass Sie auf dem Weg zum Gästeeingang der Mercedes-Benz-Arena aufgrund einer polizeilichen Maßnahme eine längere Wartezeit hinnehmen mussten.“

Es ging den vielen SC-Fans, die im dichten Gedränge im Korridor eingepfercht waren keineswegs lediglich darum, dass sie eine „längere Wartezeit“ in Kauf nehmen mussten. Die Fans verpassten durch die Polizeisperre einen Großteil der ersten Halbzeit von einem Fußballspiel, für das sie zuvor Eintrittskarten erworben hatten. Zudem sorgte die Polizei mit ihrer Sperre für eine gefährliche Situation,

„Das Fanverhältnis zwischen Stuttgarter und Freiburger Risikofans gilt als rivalisierend.“

Gut erkannt. Die Tatsache lässt der Stuttgarter Polizei natürlich keine andere Option als die SC-Fans deswegen nicht in den Gästeblock zu lassen.

„Risikofans des SC Freiburg sind in der Vergangenheit mehrfach durch das verbotene Abbrennen von Pyrotechnik in Stadien aufgefallen.“

Tatsächlich wurde auch im Freiburger Block bei vorherigen Spielen immer mal wieder Pyro abgebrannt. Allerdings nicht mehr als bei den Fanszenen anderer Vereine und in fast allen Stadien seit Jahrzehnten üblich – im Gegenteil. So muss denn bei der Aufzählung der letzten Pyrotechnik-Ereignisse von SC-Fans auch einige Monate zurückgeblättert werden:

„Beispielsweise wurden am 31.Oktober 2018 im Holstein-Stadion Kiel zu Beginn der DFB-Pokalbegegnung durch Freiburger Risikofans mehrere pyrotechnische Gegenstände gezündet.“

Das zweite aufgeführte Beispiel liegt sogar mehr als ein Jahr zurück:

„Auch in der letzten Bundesligasaison wurden in der Mercedes-Benz-Arena Stuttgart kurz vor Spielbeginn im Rahmen einer angemeldeten Choreografie durch Freiburger Risikofans mehrere pyrotechnische Gegenstände abgebrannt.“

An dieser Stelle stellt sich die Frage: Was genau sind eigentlich die immer wieder genannten „Risikofans“? Weder Gesetze noch Wikipedia liefern eine Definition hierzu. Und wer legt fest ob man ein Risikofan ist oder nicht?

„Während des Abbrennens vermummten sich die betreffenden Personen.“

Verständlich. Bei den vielen Kameras in den Stadien und den drohenden Konsequenzen, die horrenden Geldstrafen vom DFB, die an die finanziellen Möglichkeiten eines Bundesligaclubs angepasst sind, an die Verursacher weiterzureichen ist eine ordentliche Vermummung absolut empfehlenswert. Warum deswegen der Weg zum Gästeblock bis zum Anpfiff versperrt werden muss, ist uns aber immer noch nicht klar. Aber vielleicht bekommen wir noch eine Erklärung. Der Brief geht schließlich noch weiter.

„Am Spieltag des 3. Februar 2019 wurde beim Eintreffen des Sonderzuges aus Freiburg am Bahnhof Untertürkheim und im Rahmen des polizeilich begleiteten Gästefansmarsches zum Stadion mehrfach Pyrotechnik abgebrannt.“

Da es sich lediglich um eine sehr kleine Portion bunten Rauch gehandelt hat, mag das nicht jeder Teilnehmer am „Gästefanmarsch“ mitbekommen haben. Wir können es aber bestätigen. Ebenso können wir bestätigen, dass die potentiellen Übeltäter unmittelbar nach ihrem riesigen Feuerwerk von Polizisten identifiziert und in Gewahrsam genommen wurden. Also stellt auch dies keinen Grund dar, über tausend SC-Fans den Weg zum Eingang zu blockieren, zumal ein Großteil gar nicht mit dem Zug, sondern mit Bussen oder PKWs angereist ist.

„Des Weiteren kam es im Sonderzug auf dem Weg nach Stuttgart zu einer Sachbeschädigung an einem Waggon.“

Unseren Informationen zufolge kam es hier versehentlich zu einem geringen Schaden im Zug. Der Verursacher hat sich direkt beim Zugbegleitpersonal gemeldet um die Wiedergutmachung zu klären. Diese Person kann also auch nicht der Grund gewesen sein, warum die Polizei über tausend SC-Fans später den Weg versperren sollte. Oder doch?

„Vor diesem Hintergrund erfolgte die polizeiliche Gefahrenprognose, dass damit zu rechnen sei, dass Anhänger der Freiburger Risikofans erneut in die Mercedes-Benz-Arena Pyrotechnik abbrennen werden.“

Weiter oben haben wir bereits die Frage gestellt, wer oder was genau eigentlich diese Risikofans sind. Offensichtlich haben die Freiburger Risikofans sogar eine eigene Anhängerschaft.

„In diesem Kontext hat der Einsatzleiter zur Gefahrenminimierung entschieden, die Möglichkeit zum Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände im Stadion gar nicht erst entstehen zu lassen.“

Und deswegen sollten über tausend SC-Fans erst verspätet ins Stadion gelassen werden? Die Gefahr wäre vielleicht noch weiter minimiert worden, wenn man gleich das komplette Spiel abgesagt hätte. Kleiner Tipp fürs nächste Mal an den Einsatzleiter der Stuttgarter Polizei, den er sich hoffentlich nicht ernsthaft zu Herzen nimmt.

„Die Freiburger Risikofans sollten daher im Gästezugang angehalten und polizeilich durchsucht werden, damit das Einbringen von Pyrotechnik in das Stadion verhindert wird. Um die Wartezeit für die restlichen Freiburger Fans vor dem Gästeeingang nicht unangemessen zu verlängern, war vorgesehen, die Risikofans kurzzeitig von den restlichen Freiburger Fans zu separieren.“

Keine gute Idee, die dazu auch noch völlig schief gelaufen ist. Risikofan hin oder her. Die zur Begründung herangeholten Geschehnisse auf dem Weg rechtfertigen keine separate Kontrolle, egal von wem. Wenn diese dazu noch unter in Kaufnahme von Kollateralschäden durchgeführt werden soll, erscheint das Vorgehen umso fraglicher.

„Im Bereich des Gästezuganges kam es dann aufgrund des unkooperativen Verhaltens der Freiburger Risikofans zu einem zeitlichen Verzug und zu einer Personenverdichtung, die die vorgesehene Kontrolle der Risikofans nicht mehr ermöglichten.“

Angesichts des engen, nur wenige Meter breiten Korridors und einem Anmarsch von einigen hundert Fans zur selben Zeit war dieses Risiko eigentlich für jeden zu erwarten. Nur offensichtlich nicht für den Einsatzleiter der Stuttgarter Polizei. Was das „unkooperative Verhalten“ betrifft haben unsere Recherchen ergeben, dass Fans aus den ersten Reihen des „Gästefanmarschs“ aufgefordert wurden, eine Ganzkörperkontrolle durch die Polizei über sich ergehen zu lassen. Nur nach Durchführung einer solchen Kontrolle sollte der Zugang zum Stadion gewährt werden. Die Rede war von ca. 100 Fans, die kontrolliert werden sollten. Allerdings war sichtbar, dass nur eine Handvoll Polizisten für diese Kontrolle bereitstanden. Aus den Erfahrungen von Fanszenen anderer Vereine war bereits bekannt, dass die Stuttgarter Polizei solche Kontrollen gerne so lange hinauszögert, bis das Spiel vorbei ist. Dies war unter anderem ein Grund, weshalb sich kaum jemand freiwillig für so eine Kontrolle gemeldet hat.

Die oben genannten Rechtefertigungsgründe waren also nur Mittel zum Zweck. Letztendlich ging es der Stuttgarter Polizei darum, bestimmte Fans einer gesonderten Kontrolle zu unterziehen. Völlig unabhängig davon, was auf dem Weg zum Stadion passiert ist. Dies beweist auch, dass bereits vor Ankunft des Zuges die Insassen eines Fanbusses einzeln und aufwändig gesondert kontrolliert wurden.

„Von der Gefahr einer Massenpanik kann im Übrigen keine Rede sein. Der Gästezugang war zur Benzstraße während der gesamten Einsatzmaßnahme geöffnet, d.h. jeder Besucher hatte jederzeit die Möglichkeit, sich eigenständig aus der Besucherschlange zu lösen.“

Diese Begründung zeigt einmal mehr, dass der Verantwortliche bei der Polizei Stuttgart den Sinn für die Realität verloren zu haben scheint. Erstens wusste – zumindest in den vorderen Reihen – niemand, ob der Weg zurück nach draußen frei war oder nicht. Gerüchten zufolge stand auch dort eine Polizeikette. Für die Polizei wäre es ein einfaches gewesen dies z.B. per Lautsprecher zu kommunizieren, wenn dies der Fall gewesen sein sollte. Davon abgesehen sollte auch der Polizei klar sein, dass die vielen SC-Fans nicht wegen dem schönen Wetter nach Stuttgart gefahren sind, sondern um ein Fußballspiel anzuschauen. Warum sollte sich jemand einen Weg nach draußen bahnen, wenn er doch schon in der „Besucherschlange“ steht? Wäre es tatsächlich zu einer Panik gekommen ist stark zu bezweifeln, ob es alle SC-Fans geschafft hätten den Weg zurück zur Benzstraße zu nehmen. Aus unserer Sicht zeigt der Verantwortliche bei der Stuttgarter Polizei mit dieser Aussage, dass er die Gefahr der Situation völlig unterschätzt und nach wie vor kein Einsehen hat, hier einen gefährlichen Fehler begangen zu haben.

„Lassen Sie mich abschließend herausstellen, dass sich das Polizeipräsidium Stuttgart generell sehr gewissenhaft und konstruktiv mit der polizeilichen Einsatzbewältigung auseinandersetzt – auch in der Nachbereitung.“

Der Duden definiert „generell“ als „für die meisten oder alle Fälle derselben Art geltend, zutreffend“. Die Fälle, in denen sich das Polizeipräsidium Stuttgart nicht „gewissenhaft und konstruktiv“ mit dem eigenen Verhalten auseinandersetzt scheint es also durchaus zu geben. Offensichtlich haben wir es bei den Geschehnissen rund um unser Spiel in Stuttgart mit so einem Fall zu tun. Anders ist dieser unsinnige Erklärungsversuch aus unserer Sicht nicht zu rechtfertigen.

Wir sind auf den weiteren Verlauf der Aufarbeitung gespannt.